3. Mai 2008

Der fliegende Händler (Le Fils de l’épicier)

Category: Film — Dennis @ 16:26

Der fliegende Händler (Le Fils de l'épicier) Stellt euch vor, es ist Sommer. Die Vögel, die sich den ganzen Tag unter den großen, grünen Bäumen vor der Hitze versteckt haben, kommen langsam heraus und beginnen, den Abend einzuläuten. Die Sonne macht es sich ein winzigkleines Stückchen über dem Horizont bequem und taucht die Landschaft in dieses unwirkliche, sanft-orange Glühen. Ein paar Grillen zirpen. Keine Wolke am Himmel. Und ihr habt nichts zu tun, als in eurem Liegestuhl auf dem Rasen zu sitzen, die Zehen in das angenehm kühle Gras zu graben und es euch gut gehen zu lassen…
So fühlt sich Der fliegende Händler an. Genau so. Der Film erzählt die kleine, unbedeutende Geschichte von Antoine, der aus der landschaftlichen Idylle, in der seine Eltern wohnen, ausgebrochen ist und in Paris das große, neue Leben sucht. Dort hat er Claire kennen gelernt, die mit mitte zwanzig versucht, ihr Abitur nachzumachen. Als Antoines Vater, mit dem es schon immer größere und kleinere Reibereien gegeben hat, mit einem Herzinfarkt ins Krankenhaus kommt, entschließt Antoine (nicht ganz uneigennützig), mit Claire zurück in die Heimat seiner Eltern zu fahren, um den kleinen fahrbaren Supermarkt-Kiosk seines Vaters in dessen Abwesenheit weiter zu betreiben.

Doch eigentlich ist das alles ganz unwichtig, ebenso wie die immer geforderten Entwicklungen der Charaktere, die Antoine langsam seine Verantwortung und seinen Vater die Eigenständigkeit seines Sohnes erkennen lassen. Auch Antoines Mutter, sein Bruder und selbst Claire, die alle ihre Last zu tragen haben, treten in den Hintergrund…

Viel wichtiger ist die Stimmung, die Der fliegende Händler (übrigens der Name, den Claire der kleinen fahrbaren Bude gibt) transportiert. Innerhalb wunderschöner südfranzösischer Landschaften, in denen die Zeit manchmal stillzustehen scheint, fährt Antoine mit seinem Transporter zwischen den Leben vieler verschiedener Menschen hin und her. Die alten Bewohner der kleinen Dörfer, darunter die schrullige Lucienne, ein älterer Herr, der grundsätzlich den Preis, den Antoine ihm nennt, missversteht, oder der alte Clement, der nach dem Tod seiner Frau seine Schafe abgeben musste und nun mit Eiern und Schnaps bezahlt, wirken niemals gekünstelt oder unecht, sondern gerade so, als hätte man die zufällig an den Drehorten wohnenden Menschen während ihres täglichen Treibens gefilmt.

Es wird Sommer in Frankreich und mit diesem Film auch Sommer im Herzen. Ein Ende hat der Film eigentlich nicht, genau so, wie das wirkliche Leben kein echtes Ende hat. Was mit den alten Leutchen geschieht, ob aus Antoine und Claire etwas wird, all das erfahren wir nicht. Aber wir haben Teil an einer ganz kleinen, ganz unbedeutenden Geschichte, wie sie so sicher hundertfach stattgefunden hat und noch immer stattfindet. Eine ganz kleine, ganz unbedeutende, aber ganz wunderbare Geschichte.

Vier Lieferwagenholzstützen für einen Film, der so wohl nur aus Frankreich kommen kann.

Dennis

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Links zum Beitrag:
Le fils de l'épicier bei imdb
Die deutsche Seite zum FIlm

3 Comments

  1. Irgendetwas muss momentan in der Luft liegen (vielleicht der Frühling?), dass man zur Zeit von Remscheid bis Santa Barbara französische Filme sieht und bespricht.
    Letztens erst Le scaphandre et le papillon gesehen und gestern noch mit meinen Mitbewohnern diskutiert, ob französische Filme tatsächlich immer melancholisch, düster und verstörend sind. Ich glaube fast, da ist ein Körnchen Wahrheit dran. Jedenfalls sind französische Filme meist weit vom Mainstream entfernt und mehr als nur eine effekthaschende Aneinanderreihung inhaltsloser Bilder. Sehr angenehm.
    Ich glaube, Der fliegende Händler ist gerade auf meiner Lister noch zu sehender Filme gelandet.

    Kommentar by Patrick — 3. Mai 2008 @ 23:02

  2. melancholisch, düster und verstörend

    Ich glaube, eins davon ist es immer, nicht unbedingt alle drei. In diesem Fall war’s eigentlich nur melancholisch, die Erinnerungen an die guten alten zeiten, in denen diese mobilen Supermärkte (ich glaube, einen richtigen Ausdruck gibt es im Deutschen dafür gar nicht, oder?) noch mehr alltägliche als mysteriöse Randerscheinung waren…

    Kommentar by Dennis — 4. Mai 2008 @ 19:51

  3. Meines Wissens ist “fliegender Händler” die korrekte deutsche Bezeichnung für solche “mobilen Supermärkte”, wenn sie an wechselnden öffentlichen Orten Station machen, um dort ihre Waren feilzubieten. Wenn sie direkt einzelne Häuser anfahren, ist “Hausierer” der richtige Begriff, obgleich er heutzutage — anders als in der Vergangenheit — negativ geprägt ist.

    Kommentar by Patrick — 4. Mai 2008 @ 21:08

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