4. November 2008

Waltz with Bashir

Category: Film,Münster,Sneak — Patrick @ 22:28

Waltz with Bashir26 blutdurstige Hunde sprinten getrieben von unstillbarem Rachedurst als unaufhaltsame Meute durch die Nacht, durch Menschenmengen, durch die Stadt, bis sie schließlich ihr Ziel erreichen — unter dem Fenster ihres einstigen Peinigers bellen sie die Anklage aus ihren Kehlen. Nacht für Nacht suchen die Bestien Boaz in seinen Träumen heim. Eines Tages erzählt er seinem alten Freund und Kriegsgefährten Ari von dem Albtraum, doch Ari hat alle Erinnerungen an ihrer Zeit im Libanon verdrängt hat und wird sich dieses Verdrängens erst durch Boaz’ Traum bewusst. Die Frage, welch Grauen damals geschah, lässt Ari fortan nicht mehr los und er versucht schließlich, seine Vergangenheit wiederzufinden, indem er Freunde, Kameraden und Leidgenossen auf der ganzen Welt aufsucht. Bald schon kehrt seine Erinnerung in surrealen, beinahe psychedelischen Bildern zurück.

Diese autobiographische Dokumentation in Form eines Animationsfilms von und über Ari Folman kann man nur als Meisterwerk auf ganzer Linie bezeichnen. Die herausragend komponierten Bilder setzen das auf realen Interviews basierende Geschehen feinfühlig und technisch perfekt in Szene. Dabei wird das gesamte Repertoire von abstrakt-monochrom über analytisch-realistisch bis zu psychedelisch, an Pop-Art erinnernd stilsicher genutzt. Entsprechend werden die Bilder der mehrschichtigen Handlung, im Rahmen derer Gegenwart und Vergangenheit sowie Erinnerung und Realität zusehends in einander übergehen, voll und ganz gerecht. Die Wahl einer kraftvollen Perspektive gepaart mit ungewöhnlichen Schnitten und gewagten Einstellungen vermag zusammen mit dem eingängigen Soundtrack auf ganzer Linie zu überzeugen.

Gerade durch den abstrakten Animationstil und die unwirklichen, teils grotesken Elemente wie Aris Walzer mit dauerfeuerndem Maschinengewehr inmitten eines tödlichen Kugelhagels oder die Deliriumsvision einer überlebensgroßen nackten Frau als schwimmendes Rettungsboot wird die Darstellung des Krieges ertragbar. Doch bald merkt der Zuschauer, dass er so zwar von der physischen Brutalität der Kriegshandlung verschont bleibt, den psychischen Druck und moralischen Verfall dafür aber in ganzer Härte präsentiert bekommt. Man sitzt mit einem vor Schrecken eingefrorenen Grinsen wie erstarrt im Kino und möchte weinen — über den Krieg, über die Menschen, über alles — bis plötzlich die Bilder real werden und man selbst allein ist — nur mit dem Geräusch des eigenen Atems und den Schreien des Massakers von Sabra und Schatila.

Eine sehenswerte Dokumentation, deren Härte nicht unter dem erfrischend avantgardistischen Stil leidet.

Patrick

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Links zum Beitrag:
Offizielle Seite zum Film. (en)
Waltz with Bashir bei IMDb. (en)

2 Comments

  1. Die Publikumswertung des Sneak-Publikums in Münster könnte übrigens nicht gespaltener sein: viele Einsen, viele Sechsen.
    Dass der Film im hebräischen Original mit deutschen Untertiteln lief, empfand ich persönlich als Bereicherung, da Distanz und Abstraktion noch weiter verstärkt werden. Viele waren allerdings anderer Meinung und haben gleich nach den ersten Sätzen den Saal verlassen.

    Kommentar by Patrick — 5. November 2008 @ 15:53

  2. Ich war auch anderer Meinung, obwohl ich bis zum Ende geblieben bin. Meine Erfahrung mit Untertiteln ist nämlich, dass sie die Konzentration auf die Bilder und die Handlung als solche stören, und das war - meiner Ansicht nach - bei “Waltz with Bashir” ganz besonders der Fall.

    Kommentar by Anne — 14. November 2008 @ 10:01

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