Ich war sehr gespannt auf den diesjährigen 8-fachen Oscar-Gewinner und daher sehr froh, diesen in der Sneak sehen zu können. Und das Münsteraner Sneak-Publikum scheint in diesem Fall die Ansicht der Oscar-Verleihungs-Kommission zu teilen — immerhin zählt Slumdog Millionär zu den fünf am besten bewertetsten Filmen in der Münsteraner Sneak überhaupt!
Der Film beginnt mit einer Szene, in der die Hauptfigur Jamal gefesselt von der Decke hängt und von zwei Männern malträtiert wird. Was für unsere westeuropäischen Augen wie Folter aussieht, ist in Wahrheit eine polizeiliche Befragung: Man versucht herauszufinden, ob Jamal in der Show “Wer wird Millionär?” (genauer gesagt, derem indischen Pendant, in dem es um 20 Millionen Rupie geht) betrogen hat. Während der ermittelnde Kommissar sich zusammen mit Jamal die Aufzeichnung der Sendung ansieht, erzählt Jamal, wieso er die Antworten weiß. Dadurch erfährt man m Rückblick einiges über Jamals Leben und Werdegang.
Dieses erzählerische Konzept ist extrem geschickt und geht auch gut auf. Die Rahmenhandlung der sehr bekannten Show gibt jedem Zuschauer den Wiedererkennungswert, und während Jamal sich für eine Antwort entscheiden muss, überlegt man unwillkürlich: “Was würde ich wählen?”. Es ist nichts Neues, wenn ein Film in der jetzigen Zeit beginnt und die Haupthandlung in Rückblicken vermittelt. Ein aktuelles Beispiel dieser Technik ist Der seltsame Fall des Benjamin Button. Meist ist es aber so, dass eine Person am Ende ihres Lebens auf ihr Leben zurück blickt und irgendjemandem etwas erzählt — nicht besonders originell. Slumdog Millionär hat das da besser gelöst.
Auch die Idee, Episoden aus Jamals Leben mit der Show zu verknüpfen, ist gut. So können viele Facetten seines Lebens gezeigt werden, gleichzeitig ist jedoch auch klar, dass es sich nur um Episoden handelt. Dies rechtfertigt es, besonders einprägsame und spannende Momente seines Lebens auszuwählen. Auch hier drängt sich mir der Vergleich mit Der seltsame Fall des Benjamin Button auf, der es einfach nicht geschafft hat, eine ähnliche Spannung aufzubauen — womöglich, weil der Versuch unternommen wurde, das ganze Leben von Benjamin Button zu schildern. Der rote Faden in Jamals Leben sind sein Bruder Salim und seine Freundin aus Kindertagen, Latika, und die Beziehung Jamals zu den beiden steht im Mittelpunkt des Films.
Der Nachteil des Episodenhaften ist, dass einige Fragen offen bleiben. Jamals Lebenslauf enthält Lücken, die zumindest im Film nicht gefüllt werden. Das gilt auch für die anderen Hauptcharaktere, Salim und Latika, über die man sowieso nur dann etwas erfährt, wenn Jamal mit ihnen zu tun hat. Möglicherweise ist die Buchvorlage da ausführlicher. Interessant wäre es auch zu wissen, wie authentisch der Film ist. Leider fehlen mir Hintergrundinformationen zur indischen Sozialstruktur, so dass ich wirklich keine Ahnung habe, ob Jamals Leben realistisch ist. Einige Aspekte kommen mir seltsam vor, aber letztendlich schadet das der Geschichte nicht.
Hat der Film 8 Oscars verdient? Keine Ahnung. Die Kriterien, nach denen Filme nominiert und Oscars verliehen werden sind mir völlig schleierhaft. Der Film ist jedenfalls gut, wirklich gut — fesselnd, spannend und mitreißend. Und alles andere ist eh egal.
4,5 von 5 Sternen (den halben Abzug gibt es für die völlig unpassende Bollywood-Sequenz im Abspann!). Und eine klare Guck-Empfehlung.
Anne