11. März 2009

Tideland

Category: Film,Kunst — Dennis @ 23:09

Tideland Diese Rezension wird anders, ganz anders, weil auch Tideland von Terry Gilliam so ganz anders als das ist, was wir hier normalerweise besprechen. Die einen werden den Film lieben, die anderen ihn abgrundtief hassen und so ganz sicher, zu welcher Gruppe ich gehöre, bin ich noch nicht.

Erinnert ihr euch an den Sinn des Lebens von Monty Python? An den Anfang mit der “Gesellschaft mit beschränkter Hoffnung”? Oder an Brazil mit dem großartigen Johnathan Pryce? Oder an Twelve Monkeys?

Die Chancen stehen gut, dass ihr, wenn ihr eine dieser Fragen mit ja beantwortet habt, euch gut an den jeweiligen Film erinnern könnt. Terry Gilliam hat eine Art, Filme zu machen, die ich sonst noch nirgendwo in dieser Perfektion und Exzentrik gesehen habe. Gilliams Filme sind immer schräg (das wird wohl die Untertreibung des Jahrhunderts sein), düster, galgenhumorig und teilweise sehr anstrengend für das Publikum. Tideland bildet hier keine Ausnahme.

Die kleine Jeliza-Rose (Jodelle Ferland, unter Anderem das kleine Mädchen aus der erstaunlich guten Silent Hill-Verfilmung) zieht nach dem äußerst plötzlichen Tod ihrer Mutter (Jennifer Tilly) mit ihrem drogenverseuchten Ex-Rockstar von Vater Noah (Jeff Bridges) mitten ins Nirgendwo in ein kleines Haus, das einmal ihrer Großmutter gehörte. Dort lässt sich Noah ein letztes Mal von seiner Tochter seine Spritze vorbereiten, bevor auch er das zeitliche segnet und Jeliza-Rose mit ihren vier Freundinnen, den Puppenköpfen Mustique, Sateen Lips, Glitter Gal und Baby Blonde allein lässt.
Bei ihren Streifzügen durch die Felder der Umgebung trifft Jeliza-Rose Dell (Janet McTeer), Geist, Meuterer und Präparatorin in einer Person und ihren Bruder Dickens (Brendan Fletcher), die zunächst ihren Vater so präparieren, dass er weiter unter ihnen weilen kann und schließlich Jeliza-Rose in ihre Familie aufnehmen, wobei noch so einige weitere Überraschungen auf sie warten…

Gilliams Romanverfilmung hat nicht nur das Publikum sondern auch die Kritiker in zwei Lager gespalten. Die einen halten das Ganze für einen visionären Film, der die fiebertraumhafte Qualität von Alice im Wunderland mit ein bisschen David Lynch und einem großen Schuss Terry Gilliam verquirlt und zu einem meisterhaften Plädoyer für die Widerstandsfähigkeit von Kindern verkocht, andere finden Tideland schlicht sinn-, zweck- und inhaltslos.

So kontrovers der Film selbst aber auch sein mag, die Bilder, die er dem Zuschauer in den Geist projiziert, sind geradezu fantastisch. Alles wirkt so verquer, so konfus, so schräg (und ich meine hier nicht nur die Kameraperspektiven), dass es eine wahre Freude ist. Wechselnd mit den großen, weiten Landschaftsaufnahmen entsteht hier ein wirklich interessanter Gegensatz.

Jodelle Ferland hat den gesamten Film zu tragen und meistert diese Aufgabe mit Bravour. Ich möchte mir zwar nicht vorstellen, wie ein zehn- oder elfjähriges Kind Dreharbeiten wie bei Tideland oder Silent Hill ohne größere seelische Probleme übersteht, wünsche ihr aber alles Gute und bin aufs Neue von ihren Fähigkeiten äußerst beeindruckt.

Nach Brothers Grimm, bei dem Gilliam von Studiobossen und Kinokassenerfolgsdruck so eingeengt war, dass beinahe nichts mehr von seiner filmischen Genialität übrig blieb, ist Tideland nun also wie die Ohrfeige ins Gesicht der klassischen Hollywood-Maschinerie. Der Film, der an den Kinokassen erwartungsgemäß floppte, in Deutschland direkt nur auf DVD erschien, beinhaltet die zwei gilliamsten Stunden, die je für ein Publikum verfügbar waren.
Ob dem geneigten Zuschauer diese Vision gefällt, hängt in erster Linie davon ab, ob er bereit ist, sich auf den Sturz in den Kaninchenbau, in dem alles, aber auch wirklich alles auf einen warten kann, einzulassen. Wie Gilliam in seinem Vorwort (!) zum Film sagt:

Many of you are not going to like this film. Many of you, luckily, are going to love it and then there are many of you who aren’t gonna know what to think when the film finishes but hopefully, you’ll be thinking.

Solltet ihr euch Tideland tatsächlich ansehen wollen, vergesst alles, was ihr übers Filmemachen, über Gott und die Welt wisst und seht diesen Film mit den Augen eines Kindes. Und ich rate euch: Seht ihn euch an. Es ist – so oder so – ein Erlebnis.

Fünf von fünf Monsterhaien für Tideland – aber ich fand ja auch Eternal Sunshine of the Spotless Mind grandios, YMMV!

Dennis

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Links zum Beitrag:
Tideland bei imdb
The Imaginarium of Doctor Parnassus
Gilliams neuer Film, der letzte mit Heath Ledger

2 Comments

  1. Was heißt denn “YMMV”?

    Kommentar by Anne — 16. März 2009 @ 16:42

  2. Your mileage may vary - Dein Ergebnis kann anders sein ;o)

    Kommentar by Dennis — 16. März 2009 @ 16:47

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