16. April 2008

Faust – Der Tragödie erster Teil

Category: Kunst,Literatur — Patrick @ 7:24

Eugène Ferdinand Victor Delacroix: Studierzimmer, Faust alleinUnter Regie von Markus Kopf geben die städtischen Bühnen Münster Goethes Faust. Und schon vor der folgenden Rezension muss ich sagen: Wenn Ihr irgendwie die Möglichkeit habt, schaut ihn Euch an! Doch nun der Reihe nach:

Ostersonntag, der 23. März, war der erste Termin genau einen Monat nach der Premiere, für den es noch Karten gab, und der letzte, an dem ich noch in Münster/Deutschland war. Heute, fast einen Monat danach, habe ich die Inszenierung soweit verdaut (sofern man Faust als Normalsterblicher überhaupt verdauen kann) und obendrein noch ein paar Minuten Zeit für eine Rezension.

Da die städtischen Bühnen Münster praktisch ausnahmslos modern inszenieren, hat man sich bereits an ausgefallene Bühnenbilder gewöhnt. Trotzdem war die Verblüffung beim Betreten des Saals groß: Eine quadratische Bühne bedruckt mit Goethe-Zitaten inmitten des Saals und das Publikum diesseits und jenseits der Bühne. Außerdem eine Empore, auf der das Lippe-Saiten-Orchester unter Leitung von Tankred Schleinschock positioniert ist, und ein Laufsteg quer durch die Zuschauerplätze. Links und rechts der Bühne ausgedünnte Bestuhlung und Schauspieler statt Zuschauer. An den Wänden fünf Leinwände, auf die vor Beginn des Stücks Filmausschnitte projeziert werden.
Es lohnt sich, bereits einige Zeit vor Beginn des Stücks Platz zu nehmen, um sich diese Videos anzusehen. Passanten aus der münsteraner Fußgängerzone wurden zu Faust befragt oder mussten mit Doktorhut und Teufelshörnern auf dem Kopf Szenen aus Faust lesen - wahrlich ergetzend.

Das Stück beginnt schließlich, indem die Videoaufnahmen von farbenfrohen, psychedelischen Animationen abgelöst werden und Engel, die der Kinderchor des Paulinum stellt, auf den Rängen auftauchen. Mephisto (Johann Schibli) in trendiger Gothic-Gewandung auf der Bühne und Gott delokalisiert von wechselnden Chorknaben gesprochen werden auf den Leinwänden von einem visuellen Augenschmaus begleitet, der deutlich an Kubricks 2001 - Odyssee im Weltraum erinnert. Was unter weiterhin massiven Einsatz von Livemusik und Video (Martin Kemmer) folgt, ist Goethes Faust in einer sinnvoll gekürzten, erfrischend modernen Inszenierung.

Wolf-Dieter Kabler gibt den Faust als klassischen Gelehrten, bleibt dabei aber in meinen Augen hinter seinen Möglichkeiten als exzellenter Schauspieler zurück. Gerade in den Kernszenen Nacht (Fausts Streben), Studierzimmer (Teufelspakt), Wald und Höhle sowie Kerker nimmt man seinem Spiel die Größe und Schwere der Handlung schlicht nicht ab. Vielleicht können diese Szenen in ihrer gigantischen Tragweite per se nicht durch Schauspiel sondern nur durch die ureigene Kraft der Sprache, der Verse selbst transportiert werden. Das zurückhaltende Spiel ließe sich so zwar rechtfertigen, doch gereicht Kablers deutlich beschleunigtes Sprechtempo Goethes Wortgewalt leider nicht zur Ehre.

Johann Schibli geht dagegen in seiner Rolle als Mephisto perfekt auf. Der mit Inbrunst dargestellte hechelnde Pudel, dessen Zungenspiel ihn das gesamte Stück über begleitet, das Auftreten als fast schon sympathischer Rocker, die wirkungsvolle Obszönität und Lüsternheit, die nie plump wirkt, und das stete subtile Manipulieren machen Mephisto hier zu einer durch und durch glaubhaften Teufelsgestalt. Er ist wahrlich kein Satan, sondern tatsächlich der Verneiner, der Lügner, der subtile Teufel, dem man seine stete Bosheit kaum anmerkt, dem man verfällt ohne es zu merken.
Absolut treffend und unvergleichlich, wenn er vor der Valentinszene “Highway to Hell” von AC/DC singt.

Faust ohne Gretchen wäre nichts. Leider wird das in vielen Inszenierungen vergessen, wenn man dem Publikum ein flaches, charakterloses mehr oder weniger hübsches Mädchen vorsetzt, das stumpf seinen Text herbetet. Glücklicherweise ist das hier ganz anders: Tina Amon Amonson spielt das Gretchen alles ander als platt. Glaubhaft und ausdrucksstark vermittelt sie den Konflikt zwischen süßer Liebe und kirchlicher Tugend, der schließlich in Tragödie und Wahnsinn gipfelt. Schade nur, dass sie etwas zu viel singen muss. Ist die musikalische Interpretation des König-von-Thule-Liedes noch gelungen, so leiden doch andere Szenen darunter - vor allem Marthens Garten. Hier wäre der gesprochene Text deutlich wirkungsvoller.

Generell hinterlässt der stete Einsatz von Musik aber einen positiven Gesamteindruck. Die Gesangs- und Tanzeinlagen fügen sich (mit obiger Ausnahme) nahtlos in das Gesamtkonzept und lassen die Inszenierung keineswegs zu einem belanglosen Musical verkommen. Insbesondere die Szenen Osterspaziergang (folkloristisch, aufmunternd), Auerbachs Keller (fetzig, disko), Am Brunnen (erschütternd, eindrücklich) und Hexenküche (mystisch, ekstatisch) profitieren merklich von der Musik. Letztere Szene ist übrigens ein gar besonderes Spektakel mit Christiane Hagedorn als wahrhaft reizender Hexe.

Es bleibt zu erwähnen, dass die Inszenierung sehr zu meiner Freude die Satanszene aus Goethes Paralipomenon P50 enthält. Es wird wohl ein ewiges Rätsel bleiben, warum die Szene in Goethes finaler Fassung des Faust nicht enthalten ist. Leider erfährt sie nachwievor zu wenig Beachtung, insbesondere da sie in meinen Augen einen integralen Bestandsteil des Faust darstellt. Einerseits konkretisiert das Auftreten Satans die Definition von Mephisto und macht deutlich, dass Mephisto lediglich einen Teil des teuflischen verkörpert, nämlich das Verneinen, Leugnen und Verkehren. Satan dagegen ist die offenen Perversion, Gewalt und Schändung. Andererseits bietet die Satanszene als “Intermezzo in der Hölle” einen Kontrapunkt zum Prolog im Himmel und kompletiert so den metaphysischen Rahmen um das Schicksal des Menschen symbolisiert durch Faust.
Die Textfassung der Satanszene erscheint gemessen an der heute in den Medien üblichen Wortwahl und Ausdrucksweise fast schon lieblich. Dieser Eindruck relativiert sich jedoch, macht man sich erst die gesamte Tragweite der Szene deutlich. Die Inszenierung schöpft hier entsprechend aus dem Vollen: Die Videoleinwände zeigen den Text der Szene in einer sich überschlagenden Folge stroboskopartiger Blitze. Auf der Bühne feiern Hexen und Satansjünger einen ekstatischen Reigen, während der Herr der Finsternis seine Predikt hält und das Publikum blinkende Teufelshörner trägt. Aus dieser orgiastischen Anbetung fallen Faust und das Publikum unvermittelt in die finale Tragödie.

Alles in allem eine moderne und überzeugende Inszenierung, die ich Euch gerne empfehle. Manchem mag die Modernersierung sicher nicht gefallen, wird Goethe doch als eine der unverrückbaren Säulen der deutschen Literatur gehandelt und seine Texte als absolut angesehen. Hier muss ich mich man sich allerdings fragen, inwieweit dieser starre Absolutätsanspruch dem aufgeschlossenen Menschen Goethe gerecht wird.

Nächstes Jahr gibt es den zweiten Teil, den man eher selten auf der Bühne zu sehen bekommt. Ich bin gespannt.

Patrick

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2 Comments

  1. Sagst du mir vorher bescheid? ;o)

    Kommentar by Dennis — 16. April 2008 @ 13:01

  2. Ich möchte nur noch darauf hinweisen, dass die rot blinkenden Teufelshörner meiner Ansicht nach eine ganz phantastische Idee waren! Dank meines liebevollen Freundes konnte ich selber welche tragen und fühlte mich sofort als Teil der Szene, Satansjüngerin, Personifiziertes Böses… oder zumindest so ähnlich. Mich hat es jedenfalls sehr angesprochen!

    Kommentar by Anne — 21. April 2008 @ 19:03

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