16. Juli 2008

99 Francs

Category: Film,Sneak — Anne @ 10:55

99 Francs

Vorweg: Ich weiß nicht, warum der Film so heißt. Er basiert auf einem Buch gleichen Titels - wie könnte es auch anders sein, alle guten Filme basieren auf Büchern oder Comics (oder Hörspielen) -, das in Deutschland 39,90 (DM?) heißt. Der Titel ist mir ein Rätsel, aber das ist nicht weiter schlimm, denn an diesem Film ist so manches andere ungewöhnlich.

Die Hauptfigur ist Octave, der als Kreativer bei einer Werbeagentur arbeitet. Sein Leben besteht aus Arbeit, Drogen und Parties. Freunde hat er nicht, und er ist ein Zyniker, wie er im Buche steht. Von seinen Kollegen mag er auch nur Art Director Charlie einigermaßen, während er den Rest der Menschheit mehr oder minder verachtet. Man merkt, Octave ist kein Sympathieträger - soll er auch nicht sein. Aus lauter Verdruss am Leben steigert Octave seinen Drogenkonsum immer mehr, was nicht lange gut geht…

Man mag zu der Story stehen wie man will: Was den Film herausragend macht, ist die filmische Umsetzung und Komposition. Dass der Film an einem Endpunkt beginnt und sich dann größtenteils in Rückblenden abspielt, ist keine neue Idee. Sehr gelungen sind allerdings die Szenen im Drogenrausch: So findet Octave sich in einen Werbespot versetzt und sieht sich in einem Werbespot für seine Werbeagentur Ross & Witchcraft - das alles unter Drogen. Ein weiterer Drogenrausch wird durch verfremdende Zeichnungen brilliant dargestellt.

Überhaupt ist die Verfremdung des Stoffs ein wesentliches Stilmittel des Films. Das fängt schon damit an, dass Octaves Stimme häufig aus dem off erklingt und er im Rückblick das Geschehen kommentiert. Durch Stilmittel wie Zeichnungen oder andere Einblendungen wird dem Zuschauer deutlich vor Augen geführt, dass er einen Film sieht. Das ist die Anwendung von Brechts epischem Theater im Kino - Filmkunst.

Gegen Ende steigert sich das noch dadurch, dass der Film zwei alternative Enden bereit hält. Mich hatte es, zugegebenermaßen, etwas verwirrt, als nach “Ende” des Films, am Anfang des Abspanns, die Schrift auftauchte, es sei ein Testscreening und es gebe ein weiteres Ende, man solle nachher bitte angeben, welches man vorziehe. In Münster hat es nämlich schon Testscreenings in der Sneak gegeben, deshalb war das faktisch nicht unmöglich. Mittlerweile bin ich jedoch davon überzeugt, dass beide Enden Teil des Films sind und dies als weiteres Element der Verfremdung ganz bewusst so gewählt ist. Gute Idee!

Ich könnte noch viel von dem Film erzählen, aber besser ist es, ihr schaut euch den Film einfach an. Er ist intelligent konstruiert, expressionistisch und interessant - wenn auch teilweise ein wenig widerwärtig und abartig.

Fesselnde Filmkunst auf hohem Niveau - 4 von 5 Albino-Hamstern (tolle Szene, die mit dem zugekoksten Hamster!).

Anne

PS: Beim Abspann sitzen bleiben: Am Ende kommt noch ein Sunlicht-Seifen-Werbespot, das könnte der erste Werbespot überhaupt gewesen sein.

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6 Comments

  1. Klingt so, als müsste ich den Film unbedingt sehen.

    Dass alle guten Filme auf (Hör)Buch- oder Comicvorlagen basieren, würde ich übrigens nicht zu behaupten wagen. Da gibt es mehr als genug Gegenbeispiele.

    Kommentar by Patrick — 17. Juli 2008 @ 5:09

  2. Genau das habe ich im Kino auch gedacht: Schade, dass Patrick den nicht gesehen hat - wird ihm bestimmt gefallen. :-)

    Welches Gegenbeispiel fällt dir denn ein? Ich lasse mich gerne wiederlegen (ausnahmsweise).

    Kommentar by Anne — 17. Juli 2008 @ 9:57

  3. Oh, da fallen mir ganz spontan einige ein. Ohne spezielle Reihenfolge und Wertung sind das:
    Babel, Der Club der Toten Dichter, Die tollkühnen Männer in ihren fliegenden Kisten, 2001: Odyssee im Weltraum (inspiriert von Clarkes Kurzgeschichte aber keine Verfilmung derselben), Philadelphia, Eternal Sunshine of the Spotless Mind, Das Leben ist schön, Rain Man, Good Will Hunting, The Sixth Sense und natürlich praktisch alle Filme von Woody Allen und Ingmar Bergman.

    Kommentar by Patrick — 20. Juli 2008 @ 18:32

  4. Also, Der Club der Toten Dichter basiert auf einem Buch, das ich übrigens im Englisch-LK gelesen habe.
    Bei den anderen bin ich nicht sicher, wo die herstammen - da könntest du Recht haben. Ob die Filme gut sind, ist sicher Geschmackssache - gerade bei Woody Allen möchte ich das nicht für alle unterschreiben.

    Was kennst du denn von Ingmar Bergman? Ich habe noch keinen Film von ihm gesehen, würde aber gerne (am liebsten im Original).

    Kommentar by Anne — 21. Juli 2008 @ 15:00

  5. Beim Club der Toten Dichter bist Du einem weit verbreitetem Irrglauben aufgesessen: Das Buch von Kleinbaum entstand nach der Verfilmung auf Basis des Drehbuchs. Hier ist der Film also Vorlage und das Buch Nachahmung.

    Natürlich sind nicht alle Woody Allen Filme gut und natürlich lässt sich über Geschmack streiten, doch nach obiger unvollständiger Aufzählung betrachte ich die These, alle guten Filme basieren auf literarischen Vorlagen, als widerlegt…

    Die Ingmar Bergman Filme liefen übrigens anlässlich seines Todes im Sommer 2007 im öffentlich-rechtlichen Fernsehen und werden sicher nicht zum letzten Mal ausgestrahlt worden sein.

    Kommentar by Patrick — 21. Juli 2008 @ 16:34

  6. Frechheit - warum lesen wir im LK Bücher, die nach Filmen geschrieben wurden? Das macht doch nur sehr wenig Sinn.

    Die These ist widerlegt - war eh’ provokativ gemeint, um die Diskussion anzuheizen.

    So weit ich weiß, hast du keinen einzigen der Bergman-Filme aufgenommen, jedenfalls nicht im Sommer 2007. War es vielleicht im Herbst?

    Ach ja, 99 F hat übrigens in der Münsteraner Sneak-Bewertung extrem viele Einsen und Zweien bekommen, aber auch viele Sechsen - was mich beides nicht verwundert hat.

    Kommentar by Anne — 23. Juli 2008 @ 10:35

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