4. Februar 2009

Barfuss bis zum Hals

Category: Film,Münster,Sneak — Anne @ 13:56

Letzte Woche hatten wir in Münster ein Kinoevent der ganz besonderen Art, nämlich ein Testscreening. Bei einem Testscreening soll überprüft werden, wie ein Film beim Publikum ankommt. Aus diesem Grund waren Regisseur und Produzent von Barfuss bis zum Hals im Kino anwesend und haben nachher auch Fragen zum Film beantwortet und Kritik entgegengenommen. Die folgende Rezension bezieht sich daher auf ein zweimaliges Event (ein weiteres Testscreening sollte in Süddeutschland stattfinden).

Der 17-jährige Jakob hat Probleme mit seinen Eltern. Sie meckern an seiner Kleidung herum und v.a. Vater und Sohn verstehen sich nicht - Teenager-Alltag, möchte man denken. Ungewöhnlich ist hingegen die Lebensweise der Eltern: Sie sind Nudisten. Vater Helmut ist Vorsitzender des ältesten FKK-Vereins Deutschlands und lebt zusammen mit anderen Vereinsmitgliedern auf einem malerischen Waldgrundstück - selbstverständlich unbekleidet. Während sich Jakobs Schwester Rosa der Lebensart der Nudisten anpasst, rebelliert Jakob gegen die Lebensweise seiner Eltern.

Durch den Verkauf des Waldgrundstücks, auf dem sich Vereinshaus und dazu gehöriger Campingplatz befinden, an Dieter Lohe wird die FKK-Enklave jedoch in ihrer Existenz bedroht. Lohe ist Bayer, CSU-Mitglied und Textilfabrikant — allem Anschein nach der allerletzte, der Verständnis für Nudismus haben könnte. Als Lohe zusammen mit seiner Tochter Natalie auftaucht und ein paar Tage Ferien machen will, beschließt der FKK-Verein auf Jakobs Vorschlag hin, Lohe etwas vorzuspielen und ein paar Tage lang Kleidung zu tragen. Dass das nicht ewig gutgehen kann, ist abzusehen…

Barfuss bis zum Hals ist eine Komödie, die einen Großteil ihrer Komik aus der Grundidee gewinnt, das Geschehen in einem FKK-Verein anzusiedeln. Nach der ersten Überraschung gewöhnt sich der Zuschauer jedoch sehr schnell daran, dass viele der Akteure nackt herumlaufen, und kann sich auf die Handlung des Films konzentrieren. Diese ist überraschend vielschichtig: Es geht um Eltern und Kinder, Ossis und Wessis, Freundschaft, Liebe, Prinzipientreue und Spießertum. Der Film spielt mit Klischees, stellt sie erst dar und stellt sie dann in Frage. Das ist keinesfalls eine platte Abfolge von Gags, sondern ein Film, der sich durchaus mit realen Problemen befasst.

Dass der Film authentisch wirkt, liegt vielleicht daran, dass der Produzent Ivo Alexander Beck selber unter Nudisten groß geworden ist und daher weiß, welche Schwierigkeiten einem Jugendlichen da begegnen. So erzählte Beck z.B., dass er seine erste Freundin in dem FKK-Verein kennengelernt hat und dass beide Hemmungen hatten, einander zu küssen, solange sie nackt waren. Das ist gut nachvollziehbar, macht zwischenmenschliche Beziehungen jedoch mit Sicherheit nicht leichter. Dies zeigt sich auch am Beispiel von Rosa und Jakob, die beide — in verschiedener Weise — Schwierigkeiten damit haben, einen Partner zu finden.

Unterschwellige Strömungen und Beziehungsprobleme der einzelnen Figuren kann man natürlich nur darstellen, wenn die Schauspieler in der Lage sind, diese zu vermitteln. Ich hatte keinen negativen Eindruck von den Schauspielern, was ein positives Zeichen ist. Mir ist jetzt allerdings auch niemand als besonders herausragend in Erinnerung geblieben — sicherlich keine Oscarkandidaten. Eine solide Schauspielleistung ist es aber schon. Dabei sollte man auch nicht vergessen, dass sich viele der Schauspieler einer besonderen Herausforderung stellen mussten: dem Dreh ohne Kleidung. Abgesehen davon, dass es im kalten Sommer 2008 sicherlich unangenehm war, stundenlang nackt im Freien zu stehen, schafft das Fehlen von Kleidung auch eine seltsame Arbeitsatmosphäre. Es ist sicher nicht angenehm, Anweisungen und Kritik vom Regisseur er- und mitgeteilt zu bekommen, wenn man ohne schützende Kleidung dasteht. Man stelle sich nur vor, man müsse seinem eigenen Chef nackt gegenüber treten! Nach Aussage von Beck und Hansjörg Thun, dem Regisseur, war dies allerdings bei den tatsächlichen Dreharbeiten nicht so schlimm wie befürchtet.

Was mir nicht so sehr gefiel, war die Beziehung zwischen Vater und Tochter Lohe. Das Verhalten beider in Bezug zueinander fand ich schwer nachzuvollziehen, und die Szene am Ende, in der beide über ihre Gefühle reden, war die einzige Szene des Films, die mir kitschig vorkam. Vielleicht wäre das besser, wenn man mehr über die beiden erfahren würde — keine Ahnung. Es wurde wohl sehr viel mehr gedreht, als später in dem Film verwendet wird, und ich könnte mir vorstellen, dass da auch Material bei ist, das Natalies Charakter besser erläutert. Der Produzent und der Regisseur meinten allerdings, dass ihrer Ansicht nach eine Kinokomödie nicht länger als 90 min dauern sollte - demnach müssten 4 min weggeschnitten werden. Ich persönlich finde, dass man den Film durchaus noch ein paar Minuten länger machen könnte, wenn dadurch bestimmte Charakterentwicklungen verständlicher würden.

Da bislang nicht feststeht, ob der Film überhaupt ins Kino kommen wird, oder ob er nur im Fernsehen gezeigt werden wird, wollten die beiden gerade auch hierzu die Meinung des Kinopublikums erfahren. Ich habe lange darüber nachgedacht. Einerseits ist die Geschichte, abgesehen davon, dass der Film im FKK-Verein spielt, nicht besonders innovativ und von der filmischen Machart eher konventionell. Kein ungewöhnlicher Stil wie bei The Spirit oder Waltz with Bashir, und auch kein außergewöhnlicher Einsatz von Schnitttechnik, Perspektive etc. wie bei dem cineastisch brillanten Abbitte. Andererseits gibt es, wie jemand bei der Diskussion nach Barfuss bis zum Hals zu Recht bemerkte, viele Filme vergleichbaren Niveaus, die im Kino zu sehen sind. Man muss daher überlegen, was einen Kinofilm von einem Fernsehfilm unterscheidet bzw. unterscheiden sollte — eine Diskussion, die z.B. auch bei Die Buddenbrooks geführt wurde (Fernsehspiel?). Dazu lässt sich sicher viel sagen, aber meiner Ansicht nach sollte ein Kinofilm originell sein: ob durch Drehbuch, filmische Machart, neue schauspielerische Tiefe — egal. Ein Kinofilm sollte daher etwas zur Filmkunst beitragen. Ich habe Zweifel, ob Barfuss bis zum Hals diesen Anforderungen genügt - viele andere Kinofilme allerdings auch nicht.

Unabhängig von der Kinofrage: Barfuss bis zum Hals ist ein guter Film, den man sich auf jeden Fall anschauen sollte, wenn man die Gelegenheit dazu hat. Eine unterhaltsame, aber nicht oberflächliche Komödie - absolut sehenswert. Vier von Fünf Sacksocken (Nein, das wird hier jetzt nicht erläutert — schaut euch den Film an!).

Anne

Deine Wertung zum Film/Buch/Ding:
MiesNajaDurchschnittlichZiemlich gutGrandios! (5 Stimme(n), durchschnittlich: 4,60 von 5)
Links zum Beitrag:
Sat.1-Pressetext zum Film
Rezension eines Sneakers zum zweiten Testscreening des Films

2 Comments

  1. Vier von Fünf Sackso­cken (Nein, das wird hier jetzt nicht er­läu­tert — schaut euch den Film an!).

    Ich fürchte, das muss auch gar nicht mehr näher erläutert werden ;o)

    Kommentar by Dennis — 4. Februar 2009 @ 20:03

  2. Update: Ich habe soeben im Internet gelesen, dass der Film am 11.6.2009 im Kino starten soll. Wer sich dafür interessiert, kann den Film also doch im Kino sehen.

    Kommentar by Anne — 22. Mai 2009 @ 10:59

RSS feed for comments on this post.

Sorry, the comment form is closed at this time.