Harvey Milk (Sean Penn) ist ein ganz normaler Versicherungsvertreter — und schwul. Kein leichtes Los im Amerika der 60er und 70er Jahre. Zusammen mit seinem Freund Scott führt Milk ein kleines Fotogeschäft in San Francisco. Das Viertel, in dem die beiden wohnen, wird bald zur Zufluchtsstätte für Gleichgesinnte. Angesichts massiver Übergriffe durch die Polizei beginnt Milk, sich immer stärker für Schwulenrechte einzusetzen, und beschließt, für das Amt des “supervisors” (wohl so etwas wie ein Stadtrat) zu kandidieren. Nach aufreibendem Kampf schafft er es, gewählt zu werden… der Rest ist Geschichte.
Man kann sich des Eindrucks nicht erwecken, dass die US-Amerikaner cineastische Aufarbeitung betreiben: Erst Frost/Nixon über die Nixon-Interviews und die Watergate-Affäre, jetzt die Geschichte des ersten schwulen in ein hohes Amt gewählten Politikers Harvey Milk. Solche Filme fallen in die gleiche Kategorie wie der Baader-Meinhof-Komplex, und tatsächlich musste ich bei Milk an diesen Film denken — ihr werdet gleich verstehen warum.
Ich gestehe, ich war überrascht über den Wirbel, der um Milks Kandidatur gemacht wurde, und ich war schockiert über einige Aussagen und über die restriktive Gesetzgebung, die gegen Homosexuelle geplant und durchgesetzt wurde. Und ich gestehe noch mehr — ich habe mich für kurze Zeit in dem Bewusstsein gesonnt, dass so etwas in Deutschland ja wohl nicht möglich gewesen wäre. Irrtum. Zwar kenne ich mich nicht mit der Homosexuellen-Aktivisten-Szene aus, aber ich weiß, dass § 175 StGB, der homosexuelle Handlungen verbot, erst 1994 aufgehoben wurde! Und in den 70ern hatten wir vielleicht keine Homosexuellen-Aktivisten, aber dafür die RAF - ob das ein Grund ist, stolz zu sein?
Wie auch immer, ich fand den Film sehr interessant und informativ und habe definitiv etwas über Politikgeschichte gelernt. Die Schauspieler gefielen mir, und ich kann die Entscheidung, Sean Penn einen Oscar zu verleihen, nachvollziehen und gutheißen. Dass es sich bei dem ganzen um wahre Geschichte handelt, macht den Film meiner Ansicht nach erst Recht reizvoll - das ist lebendige Geschichte und dadurch kann das Medium Film weiterbilden. Der Nachteil ist, dass einige der Charaktere (insbesondere Dan White) dadurch etwas im Dunkeln bleiben — wo man keine Fakten kennt, kann man sie in einem Dokumentar-ähnlichen Film auch nicht hinzuerfinden.
Ach ja, für alle Homophoben und -phile: Es gibt keine Nacktszenen! ;-)
Absolut sehenswert: viereinhalb von fünf Sternen.
Anne