4. April 2009
Superheldenfilme sind spätestens seit Spiderman, Hulk und Superman Returns wieder auf der großen Kinoleinwand angekommen. Doch wer bei Watchmen Capes, Masken und enge Latexkostüme erwartet, bekommt… genau das! Doch ansonsten ist Watchmen ein so ganz untypischer Superheldenfilm…
Die Watchmen begannen als eine Gruppe von Polizisten, die sich verkleideten, um jenseits von gesetzlichen und moralischen Grenzen gegen Verbrecher vorgehen zu können. Nun, in der zweiten Generation, in den 1980er Jahren, ist von den ursprünglichen Idealen wenig übrig geblieben. Hier gibt es keine Mutanten, keine Superkräfte und keine Außerirdischen – die Watchmen sind normale Menschen mit all ihren Schwächen.
Der soziopathische Comedian (Jeffrey Dean Morgan), der ohne Rücksicht auf Verluste mordet und vergewaltigt und der psychotische Rohrschach (Jackie Earle Haley), der seinem Gerechtigkeitssinn alles Andere unterordnet, sind nur die Spitze des Eisbergs.
Eine Sonderrolle nimmt Dr. Manhattan (Billy Crudup) ein, der nach einem (recht klischeehaften) Unfall als gottgleiche blau glühende Kreatur zurückkehrt, die Materie nach Belieben manipulieren kann und quasi im Alleingang für Präsident Nixon den Vietnam-Krieg gewann. Er steht über allem Menschsein und aus ihm besteht die amerikanische Drohkulisse im kalten Krieg, der unvermindert tobt.
Die Watchmen treffen nun, nachdem ihre pure Existenz eine Bedrohung für die Welt darzustellen scheint (Who watches the Watchmen?) und sie per Gesetz von Präsident Nixon verboten wurden, wieder zusammen, um einen der Ihren zu rächen…
Alan Moore, der vielleicht bekannteste Comic-Schreiber aller Zeiten, vielen vielleicht noch mit V for Vendetta im Gedächtnis, zeichnet hier zusammen mit Zach Snyder, bekannt geworden mit 300 eine düstere Dystopie mit vielen gefallenen Helden, die vielleicht nie welche waren. Jedes Bild ist dreckig, schmierig und grandios choreographiert, die Special Effects sind natürlich genretypisch geradezu überbordend vor Größe und Detailreichtum.
Klischeehaft ist hier nichts. Natürlich gibt es hier die erwähnten Latex-Kostüme, doch es sind Menschen, die in ihnen stecken. Klassische Comic-Regeln werden immer und immer wieder gebeugt und gebrochen und so sind die 162 Minuten immer überraschend und keine Sekunde lang langweilig.
Ziemlich over the top sind allein die zahlreichen Splatterszenen, auch wenn sie natürlich dem Zuschauer anschaulich vermitteln, dass es für die Watchmen eben keine Grenzen und keine Regeln gibt. Hier wird eben auch gezeigt, was zwischen den Comic-Panels geschieht und nur wenig der Phantasie überlassen.
Insgesamt ist Watchmen ein ganz schöner Brocken von Film, den jeder Comic-Fan definitiv gesehen haben muss. Alle anderen, die vielleicht von der aalglatten Welt von Superman & Co. gelangweilt sind, haben hier die Möglichkeit, in eine ganz, ganz andere Welt zu blicken.
Es bleiben zwar einige Fragen offen (was ist mit Rohrschachs Maske los? Woher gibt es in den Achtzigern plötzlich die Technik für animierte “Engine Failure”-Anzeigen?), wer es jedoch schafft, sich darüber während des Films zu viele Gedanken zu machen, hat wahrscheinlich auch die Selbstbeherrschung eines CIA-Agenten guten CIA-Agenten.
Vier von fünf Smiley-Buttons für Watchmen, und seien sie nur für den Mut, Billy Crudup so lange nackt über die Leinwand laufen zu lassen.
Dennis
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6. Januar 2009
Wer die literarische Vorlage von Thomas Mann kennt, wird wissen, dass diese sich nicht unbedingt zur Verfilmung eignet. In aller Ausführlichkeit und mit vielen Beschreibungen gespickt erzählt Mann Ereignisse aus dem Leben der Familie Buddenbrook, die erst gegen Ende ein klareres Bild von deren Verfall ergibt. Wissend, dass eine Verfilmung schon auf Grund dieser Tatsache einen schweren Stand haben muss, ging ich ins Kino, bereit, gewisse Abstriche zu machen.
Wie kann ein Buch verfilmt werden, das seinen Gesamteindruck auf so subtile Weise vermittelt? Meiner Ansicht nach nur durch die subtile Verwendung aller filmischen Mittel. Dennis hat es mit seinen SDF-Kriterien auf den Punkt gebracht — und am S und F, also bei Schauspielern und Filmtechnik, zeigt sich die Qualität einer jeden Buchverfilmung. Das gilt in ganz besonderem Maße für ein Buch wie Die Buddenbrooks, das keinen Plot mit einer Spannungskurve enthält.
Jessica Schwarz hat gesagt, sie fände den Film im Ergebnis enttäuschend. Enttäuschend fand ich Jessica Schwarz als Tony Buddenbrook. Ganz abgesehen davon, dass sie sich äußerlich nicht verändert hat, obwohl der Film an die 20 Jahre umfasst, blieb auch ihre Mimik immer gleich. Hier half es nicht, dass gerade die Passagen um Tony gekürzt und umgeschrieben worden waren. So wirkten die Szenen mit Tony nicht authentisch - schade. Besser gefielen mir August Diehl als Christian und Mark Waschke als Thomas Buddenbrook. Ihnen sah man das Altern und die zunehmende Verbitterung eher an, und hier merkte man auch durch Blicke ausgedrückte Schauspielkunst. Die Szenen mit den beiden waren eindeutig die Glanzpunkte des Films.
Zu bemängeln ist hingegen der Einsatz der typisch filmischen Mittel. Die Musik hat - abgesehen von Gerdas Geigenstücken - bei mir keinen bleibenden Eindruck hinterlassen und sollte wohl nur im Hintergrund stehen. Die Kameraführung war zu Anfang äußerst unoriginell, wurde gegen Ende dann aber etwas inspirierter. Da hätte man schon einiges mehr herausholen können! Auffällig war der Versuch, das Wetter als Metapher für einzelne Stimmungen und zur Untermalung der Szenen zu verwenden. Abgesehen davon, dass dies auch nicht gerade originell ist, war der Bezug so offenkundig und alles andere als subtil, dass er einfach nur plump wirkte.
Der Film hat sicher auch gute Seiten, so wie die aufwendige Kostümierung und das überzeugende Bühnenbild (Lübeck im 19. Jahrhundert). Und bis in die Nebenrollen hinein findet man durchaus passende und gute Schauspieler. Insgesamt erzählt der Film jedoch eine Geschichte nach, ohne sich um Tiefgang zu bemühen - oberflächlich. Das wird der preisgekrönten Vorlage einfach nicht gerecht.
Zwei von fünf Sack Weizen für diese filmische Erzählung.
Anne
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5. Januar 2009
Endlich mal wieder eine Buchrezension auf Sneakcast. Ich habe mir gedacht, es könnte nicht schaden, den bedruckten und gebundenen Seiten auch mal wieder etwas Webspace zu widmen. Das Buch, das ich Euch heute vorstellen möchte ist zur Zeit dermaßen prominent, dass es auf dieser Plattform, die sich mit dem ungewöhnlichen, gewöhnlich unbeachteten beschäftigt zwar nahezu deplatziert wirkt. Aber ich komme dennoch nicht drum herum ein paar Worte über Twilight zu verlieren.
Stephenie Meyers Debütroman (in der deutschen Fassung als Bis(s) zum Morgengrauen bekannt) handelt von der 17-jährigen Bella Swan, die aus Phoenix, Arizona, in das verschlafene Städtchen Forks, Washington, zu ihrem Vater Charlie zieht. Neue Schule, neues Umfeld; alles so weit, so gut. Wäre da nicht dieser eigenartige Junge… kein Zweifel, Edward Cullen, der den Kontakt zu Bella um jeden Preis meidet, hat etwas Seltsames an sich, was ihn von den anderen unterscheidet. Bevor Bella dahinter kommt, wird sie auf dem Parkplatz der Schule nahezu von einem Truck überfahren und von Edward gerettet. Nach und nach bricht das Eis zwischen den beiden und schließlich erfährt Bella die Wahrheit: Edward ist in Wirklichkeit ein Vampir. Doch ist es für sie nun zu spät umzukehren, denn sie ist bereits unsterblich in ihn verliebt…
Zugegeben, wenn man die Ansätze der Handlung liest, dann wirkt das Ganze doch ziemlich fad. Ich habe auch zwei Jahre gebraucht, bis ich mich an das Buch herangewagt habe, nämlich als ich hörte, dass es verfilmt werden soll. Aber als ich einmal angefangen hatte und mich auf die Geschichte eingelassen habe, hat sie mich mehr und mehr in ihren Bann gezogen. Die Spannung nimmt mit fortschreitender Handlung mehr und mehr zu und auf den letzten 100 Seiten kann man das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen. Die Charaktere sind fein ausgearbeitet und man kann sich gut in sie hineinversetzen. Das Ende macht dann auch so viel Lust auf mehr, dass man gleich den zweiten Band New Moon zur Hand nehmen will.
Mich hat Twilight als Mischung aus modernem Vampirroman und Teenagerromanze persönlich angesprochen und meine Erwartungen wurden vollständig erfüllt. Leider hat dies zur Folge, dass ich von der Verfilmung, welche ab dem 15. Januar im Kino läuft, wahrscheinlich enttäuscht sein werde. Nichtsdestotrotz vergebe ich 4 von 5 Vampirzähne für diesen lesenswerten Jugendroman.
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11. Dezember 2008
“Beim letzten Mal waren nur fünfzehn Leute hier…” sagt Olli, als er auf die kleine Bühne kommt, auf das hakelnde Intro-Video mit Bela B schaut und an seinem Lesetisch Platz nimmt. Wir im Publikum – vielleicht hundert Leute – reiben uns verwundert die Augen: Lesetisch? Bierbänke im Publikum? Konzerte im Sitzen? Ich dachte, das machen nur die Toten Hosen…
Olli Schulz ist wieder unterwegs, diesmal ohne den Hund Marie. Der Mann, dessen Konzerte ohnehin zu siebzig Prozent aus Anekdoten, Geschichten und Frotzeleien mit dem Publikum bestanden, macht jetzt eine Lesereise – oder zumindest beinahe.
In der ersten Stunde hängt das Publikum gebannt an seinen Lippen, die von seinem Job als Stagehand (nicht Roadie) erzählen, von Türsteher Ulasch, miesen Nachwuchswettbewerben und dem Hundeabwehrspray, und wir glauben ihm sofort, dass er die Geschichte sonst noch nirgendwo erzählt hat und fühlen uns ein bisschen besonders.
Home of the Lame sind auch dabei, quasi als Olli-Schulz-Begleitband. Zwischen den Teilen seiner Geschichte spielen sie ein paar ihrer eigenen Songs, die vom Publikum leider nicht so ganz zur Kenntnis genommen werden.
Man wird unruhig, hatte man doch Karten für ein Konzert gekauft, auf der Hinfahrt alle Platten noch einmal durchgehört, um auch die letzten Textpassagen im Schlaf mitsingen zu können und jetzt das? Olli beruhigt alle: Das ist jetzt nur der erste Teil der Show. Nicht nur ein Buch mit dem Titel “Rock’n’Roll verzeiht dir nichts” gibt es im neuen Jahr, auch ein weiteres Album! Und das spielt er uns gleich noch vor! Große Augen überall!
Und nach einer kurzen Pause geht es dann wirklich los: Dem miesen Sound entgegen spielt Olli einen Kracher nach dem anderen, darunter Stücke mit grandiosen Titeln wie “Die Guten, die bluten, weil die Schlechten sie knechten, und der Rest stirbt langsam aus” oder mein persönlicher Favorit, “Sauna in Lankwitz”. Zu beinahe jedem Stück gibt es eine Entstehungsgeschichte, die dann eben doch beweist, dass die immer am Unverständlichen kratzenden Texte meistens einen Hintergrund haben.
Der Höhepunkt des Abends, auf den schon das Intro-Video hingearbeitet hatte, war: Bibo, Ollis Beitrag zur nächstjährigen Ibiza-Saison, ein Stück mit dazugehörigem Tanz, der in seiner Grandiosität den Ketchup-Song und den Macarena mit Leichtigkeit in einen lustig zuckenden Schatten stellt. Nach anfänglichem Zögern (“Das ist Bochum, die hatten alle Steine zum Frühstück”) sind dann alle dabei und machen den Bibo, das Ufo und den Grobi. Zum-Deppen-Machen auf hohem Niveau.
Am Ende ist Olli dann wieder allein auf der Bühne und spielt Publikumswünsche, erzählt auch hier kleine Geschichten zu den Songs und ist ganz der Entertainer, nach dem er überhaupt nicht aussieht. Noch einmal kurz Armdrücken mit dem Publikum – garantiert eine neue Tradition bei Olli Schulz-Auftritten in Bochum – und dann ist es auch schon vorbei…
Was bleibt ist die Lust auf mehr, viel mehr, die Begeisterung ob der Ankündigung des neuen Albums und die leichte Verwirrung, was man da gerade miterlebt hat. Improvisiert schien es. Gemütlich. Familiär. Wie wenn ein guter Kumpel nach einiger Zeit mal wieder vorbeischaut, um zu erzählen, wie es ihm so ergangen ist achundganzganzreinzufällig hat er auch noch seine Gitarre dabei und spielt ein bisschen.
Nächstes Mal wieder, Olli. Ganz sicher.
Aufguss, Aufguss, immer Aufguss, Aufguss, Aufguss, weil das sein muss…
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2. Juni 2008
Die studentische “Shakespeare in the Park”-Produktion Twelfth Night von Beth Wynstra (Isla Vista Arts) möchte das volksnahe Theatererlebnis aus dem 17. Jahrhundert in die Neuzeit verfrachten. Was liegt da näher, als die Aufführung unter freien Himmel in einen Park zu verlegen und das Publikum, das sich im Gras lümmelt, bereits im Programmheft mit folgenden Worten zu ausgelassenem, lautem und rüpelhaftem Verhalten zu animieren:
“In Shakespeare’s day [sic] theater was more like football than art. The spectators were loud and rowdy. We want to make this experience as close to the original as possible… so be loud and rowdy.”
Doch bevor das Stück beginnt, muss das Publikum auch tatsächlich in die vom Programmheft geforderte Stimmung gebracht werden. Dies geschieht mittels eines einfachen Spiels:
“When I say ‘thing’, you say ‘PENIS’. Thing — PENIS! — Thing — …
When I say ‘nothing’, you say ‘VAGINA’. Nothing — VAGINA! — Nothing …
When I say …”
Erstaunlich, wie das Publikum — größtenteils Studenten — diese Worte immer und immer wieder aus voller Kehle mit Inbrunst und Genuss herausschreit, als wären sie sonst verboten und dürften im Alltag niemals ihren Lippen entweichen. Vermutlich ist auch das ein Teil von Amerika. Genau wie der kostenlos vor der Aufführung angebotene Kaffee und Kakao; letzterer als Instant-Pulver mit Mini-Marshmallows zum selbst aufbrühen — einfach nur skurril. Die Stimmung aber dürfte ganz in Shakespeares Sinne gewesen sein.
Was die sieben studentischen Schauspieler dann als Twelfth Night unter Regie von Jason Narvy auf der Bühne und mitten im Publikum zum Besten gaben, war unterhaltsam, kurzweilig und… kurz. Letzteres überrascht kaum, war das Spektakel doch als “Shakespeare in nur einer Stunde” angekündigt worden. Auch wenn es statt 60 letztlich ganze 75 Minuten wurden, gewährt diese Einstellung einen tiefen Einblick in das amerikanische Selbstverständnis. Sich als Student zwei oder gar drei Stunden Theater am Stück anzusehen ist so absurd, dass man gar nicht daran denken mag.
Alles in allem war die Aufführung — gerade durch das mitmachende Publikum — wirklich ein Erlebnis. Leider wurde das harte nachmittägliche Sonnenlicht dem Mienenspiel der Darsteller nicht gerecht und viele der zahlreichen obszönen Anspielungen und lüsternen Konfrontationen des Stücks wirkten wenig glaubhaft, weil die Schauspieler nicht breit waren, gewisse Grenzen zu überschreiten. Verständlich, aber dennoch schade.
Patrick
16. April 2008
Unter Regie von Markus Kopf geben die städtischen Bühnen Münster Goethes Faust. Und schon vor der folgenden Rezension muss ich sagen: Wenn Ihr irgendwie die Möglichkeit habt, schaut ihn Euch an! Doch nun der Reihe nach:
Ostersonntag, der 23. März, war der erste Termin genau einen Monat nach der Premiere, für den es noch Karten gab, und der letzte, an dem ich noch in Münster/Deutschland war. Heute, fast einen Monat danach, habe ich die Inszenierung soweit verdaut (sofern man Faust als Normalsterblicher überhaupt verdauen kann) und obendrein noch ein paar Minuten Zeit für eine Rezension.
Da die städtischen Bühnen Münster praktisch ausnahmslos modern inszenieren, hat man sich bereits an ausgefallene Bühnenbilder gewöhnt. Trotzdem war die Verblüffung beim Betreten des Saals groß: Eine quadratische Bühne bedruckt mit Goethe-Zitaten inmitten des Saals und das Publikum diesseits und jenseits der Bühne. Außerdem eine Empore, auf der das Lippe-Saiten-Orchester unter Leitung von Tankred Schleinschock positioniert ist, und ein Laufsteg quer durch die Zuschauerplätze. Links und rechts der Bühne ausgedünnte Bestuhlung und Schauspieler statt Zuschauer. An den Wänden fünf Leinwände, auf die vor Beginn des Stücks Filmausschnitte projeziert werden.
Es lohnt sich, bereits einige Zeit vor Beginn des Stücks Platz zu nehmen, um sich diese Videos anzusehen. Passanten aus der münsteraner Fußgängerzone wurden zu Faust befragt oder mussten mit Doktorhut und Teufelshörnern auf dem Kopf Szenen aus Faust lesen - wahrlich ergetzend.
Das Stück beginnt schließlich, indem die Videoaufnahmen von farbenfrohen, psychedelischen Animationen abgelöst werden und Engel, die der Kinderchor des Paulinum stellt, auf den Rängen auftauchen. Mephisto (Johann Schibli) in trendiger Gothic-Gewandung auf der Bühne und Gott delokalisiert von wechselnden Chorknaben gesprochen werden auf den Leinwänden von einem visuellen Augenschmaus begleitet, der deutlich an Kubricks 2001 - Odyssee im Weltraum erinnert. Was unter weiterhin massiven Einsatz von Livemusik und Video (Martin Kemmer) folgt, ist Goethes Faust in einer sinnvoll gekürzten, erfrischend modernen Inszenierung.
Wolf-Dieter Kabler gibt den Faust als klassischen Gelehrten, bleibt dabei aber in meinen Augen hinter seinen Möglichkeiten als exzellenter Schauspieler zurück. Gerade in den Kernszenen Nacht (Fausts Streben), Studierzimmer (Teufelspakt), Wald und Höhle sowie Kerker nimmt man seinem Spiel die Größe und Schwere der Handlung schlicht nicht ab. Vielleicht können diese Szenen in ihrer gigantischen Tragweite per se nicht durch Schauspiel sondern nur durch die ureigene Kraft der Sprache, der Verse selbst transportiert werden. Das zurückhaltende Spiel ließe sich so zwar rechtfertigen, doch gereicht Kablers deutlich beschleunigtes Sprechtempo Goethes Wortgewalt leider nicht zur Ehre.
Johann Schibli geht dagegen in seiner Rolle als Mephisto perfekt auf. Der mit Inbrunst dargestellte hechelnde Pudel, dessen Zungenspiel ihn das gesamte Stück über begleitet, das Auftreten als fast schon sympathischer Rocker, die wirkungsvolle Obszönität und Lüsternheit, die nie plump wirkt, und das stete subtile Manipulieren machen Mephisto hier zu einer durch und durch glaubhaften Teufelsgestalt. Er ist wahrlich kein Satan, sondern tatsächlich der Verneiner, der Lügner, der subtile Teufel, dem man seine stete Bosheit kaum anmerkt, dem man verfällt ohne es zu merken.
Absolut treffend und unvergleichlich, wenn er vor der Valentinszene “Highway to Hell” von AC/DC singt.
Faust ohne Gretchen wäre nichts. Leider wird das in vielen Inszenierungen vergessen, wenn man dem Publikum ein flaches, charakterloses mehr oder weniger hübsches Mädchen vorsetzt, das stumpf seinen Text herbetet. Glücklicherweise ist das hier ganz anders: Tina Amon Amonson spielt das Gretchen alles ander als platt. Glaubhaft und ausdrucksstark vermittelt sie den Konflikt zwischen süßer Liebe und kirchlicher Tugend, der schließlich in Tragödie und Wahnsinn gipfelt. Schade nur, dass sie etwas zu viel singen muss. Ist die musikalische Interpretation des König-von-Thule-Liedes noch gelungen, so leiden doch andere Szenen darunter - vor allem Marthens Garten. Hier wäre der gesprochene Text deutlich wirkungsvoller.
Generell hinterlässt der stete Einsatz von Musik aber einen positiven Gesamteindruck. Die Gesangs- und Tanzeinlagen fügen sich (mit obiger Ausnahme) nahtlos in das Gesamtkonzept und lassen die Inszenierung keineswegs zu einem belanglosen Musical verkommen. Insbesondere die Szenen Osterspaziergang (folkloristisch, aufmunternd), Auerbachs Keller (fetzig, disko), Am Brunnen (erschütternd, eindrücklich) und Hexenküche (mystisch, ekstatisch) profitieren merklich von der Musik. Letztere Szene ist übrigens ein gar besonderes Spektakel mit Christiane Hagedorn als wahrhaft reizender Hexe.
Es bleibt zu erwähnen, dass die Inszenierung sehr zu meiner Freude die Satanszene aus Goethes Paralipomenon P50 enthält. Es wird wohl ein ewiges Rätsel bleiben, warum die Szene in Goethes finaler Fassung des Faust nicht enthalten ist. Leider erfährt sie nachwievor zu wenig Beachtung, insbesondere da sie in meinen Augen einen integralen Bestandsteil des Faust darstellt. Einerseits konkretisiert das Auftreten Satans die Definition von Mephisto und macht deutlich, dass Mephisto lediglich einen Teil des teuflischen verkörpert, nämlich das Verneinen, Leugnen und Verkehren. Satan dagegen ist die offenen Perversion, Gewalt und Schändung. Andererseits bietet die Satanszene als “Intermezzo in der Hölle” einen Kontrapunkt zum Prolog im Himmel und kompletiert so den metaphysischen Rahmen um das Schicksal des Menschen symbolisiert durch Faust.
Die Textfassung der Satanszene erscheint gemessen an der heute in den Medien üblichen Wortwahl und Ausdrucksweise fast schon lieblich. Dieser Eindruck relativiert sich jedoch, macht man sich erst die gesamte Tragweite der Szene deutlich. Die Inszenierung schöpft hier entsprechend aus dem Vollen: Die Videoleinwände zeigen den Text der Szene in einer sich überschlagenden Folge stroboskopartiger Blitze. Auf der Bühne feiern Hexen und Satansjünger einen ekstatischen Reigen, während der Herr der Finsternis seine Predikt hält und das Publikum blinkende Teufelshörner trägt. Aus dieser orgiastischen Anbetung fallen Faust und das Publikum unvermittelt in die finale Tragödie.
Alles in allem eine moderne und überzeugende Inszenierung, die ich Euch gerne empfehle. Manchem mag die Modernersierung sicher nicht gefallen, wird Goethe doch als eine der unverrückbaren Säulen der deutschen Literatur gehandelt und seine Texte als absolut angesehen. Hier muss ich mich man sich allerdings fragen, inwieweit dieser starre Absolutätsanspruch dem aufgeschlossenen Menschen Goethe gerecht wird.
Nächstes Jahr gibt es den zweiten Teil, den man eher selten auf der Bühne zu sehen bekommt. Ich bin gespannt.
Patrick
30. November 2007
Desperado von Peter Klusen ist ein merkwürdiges Theaterstück – in mehr als einem Sinn.
Gestern Abend spielte die Theater-AG des Leibniz-Gymnasiums dieses Stück, das eigentlich gar nicht so viel mit Rassismus und Rechtsextremismus zu tun hatte, wie man zuvor hätte meinen können.
Es geht um Mike, einen Einzelgänger, das sich sein ganzes Leben lang in die Opferrolle hineindrängen lässt. Er wird in der Schule gemobbt, die Eltern sind strikt gegen seine Pläne, KFZ-Mechaniker zu werden, da trifft er plötzlich im Park die Desperados, die ein bisschen pseudo-politsch aber tatsächlich rechtsextrem daher reden. Bei diesen, besonders bei Ratti, mit der er sich schnell anfreundet, fühlt er sich akzeptiert, nimmt schnell ihre Verhaltensmuster an und ersticht kurz darauf einen Klassenkameraden, einen seiner Peiniger, auf einer Party.
Das häufige Vorkommen des Wortes schnell im vorherigen Absatz könnte ein erstes Indiz für ein Problem des Stückes sein. Nach nur etwa vierzig Minuten gab es eine kurze Pause, zwanzig Minuten nach dieser war das Stück vorbei. Alles ging wahnsinnig schnell, so dass Mikes Charakterentwicklung in den Kinderschuhen stecken blieb.
Auch der sprücheklopfende (erschreckende Sprüche, das soll nicht unerwähnt bleiben) Rechtsextremismus der Desperados bleibt leider sehr oberflächlich und plakativ – und mit Mikes Tat hat das Ganze leider auch herzlich wenig zu tun.
Desperado ist ein Stück über Mobbing, über familiäre Probleme, über mangelnde Aufmerksamkeit von Eltern, Lehrern und Freunden und das alles macht das Stück gar nicht so schlecht. Alles andere ist Fassade (bröckelnde, dünne Fassade) und nicht wirklich überzeugend.
Die sehr, sehr jungen Schauspieler machten ihre Sache durchaus gut, wenn auch der Anblick der den-linken-Arm-hebenden, biertrinkenden “Jugendlichen” nicht so erschütternd wie beabsichtigt sondern vielmehr komisch und teilweise leider sogar lächerlich wirkt. Trotzdem war die schauspielerische Leistung überraschend professionell.
Auf das (wie erwähnt sehr kurze) Stück folgte eine Diskussionsrunde mit interessiertem Publikum und Schauspielern. Die an der Diskussion aktiv teilnehmenden Zuschauer schienen zum Großteil pädagogischer oder politischer Natur zu sein, waren die Aussagen doch so lang wie inhaltsleer. Man müsse hinschauen, Zivilcourage zeigen, aufmerksam sein. Natürlich muss man das, doch das Stück wird jetzt nicht unbedingt den großen Denkansatz dazu liefern können. Hinzu kam das obligatorische Schimpfen auf die Medien, die Gesellschaft und die Eltern – alles ein bisschen wie billige Donnerstagabend-Polittalkshow im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, jedoch glücklicherweise ohne Herauswerfen eines Diskutierenden.
Was bleibt ist ein etwas fader Nachgeschmack, der nicht von der politischen Brisanz des Stückes oder dessen unglaublicher Tiefe, sondern vielmehr von der mangelnden Entscheidungsfähigkeit des Autors für ein Thema herrührt. Entweder Mobbing oder Rechtsextremismus – beide Themen sind so groß und umfassend und bieten so viel Potential zur dramatischen Darstellung, dass eine halbgare Mischung aus beidem für ein einzelnes Stück, für einen einzelnen Abend sowie für ein einzelnes Publikum (die Schauspieler nicht zu vergessen) einfach zu viel!
Zwei von fünf Theaterstückseiten für Desperado, drei von fünf für die Schauspieler – die Trennung muss hier leider sein.
Dennis
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20. November 2007
Nein, nicht was ihr jetzt vielleicht denkt, sondern ein Soloabend im doppeltem Sinne: Solo ich, der allein unter Fremden diesem Stück im Theatercafé lauscht. Solo Carola von Seckendorff, die in diesem Stück für eine Person, diesem Monolog, überzeugend und virtuos die Hanna gibt.
Auffordernd und voller Illusionen erzählt sie, 32, IQ 126, Ehefrau und Mutter, gut bürgerlich, von ihrem ersten Drogenkontakt. Eine Ecstasy-Pille hat sie vom Dachdeckerlehrling gekauft und eingeworfen. Frei nach Seneca: “Nur Kleinmütige und Schwächlinge wählen den sicheren Pfad. Der Held geht über den Gipfel.”
Ihr erster Tripp, ein voller Erfolg: Farben und Lichter, Wärme und Liebe für ihren Sohn, Tunnel graben im Badeschaum…
Doch es geht weiter und weiter: Kokain (achtet auf die Nasenschleimhaut), LSD (12-dimensionales String-Multiversum, Entropietod und Protonenstaub)…
Hanna ist intelligent, selbtsbewusst und unabhängig. Was findet sie an Drogen? Hat sie das Tor zur Erkenntnis aufgestoßen? Ist sie gar gottgleich geworden?
Während sie andauernd Seneca zitiert, gibt sie sich dem Verfall preis; macht ihr Leben zum letzten Horrotrip. “Vielleicht ist er [der Fötus] schon abgestroben und verfault gerade in mir.
Erfrischend politisch unkorrekt ist das Stück; voller subtiler Ironie und scharfer Dialektik. Wie Anti-Werbung überzeugt es, und hinterlässt gleichzeitig einen fahlen Nachgeschmack von Nebenwirkungen.
Bis die Worte schließlich deutlich werden, der Schrecken greifbar.
Die stete Wechselwirkung mit dem Publikum wirkt dabei: Gemeinsame ”Übungen”, treffend bissige Kommentare, herumgereichte Bilder, einen Globus aufpusten…
Am Ende ist man bewegt, wenn man sich ihre (und die eigene) Beerdigung vorstellt: Absolute Stille herrscht; wer sich glücklich nennt, verlasse den Raum, fordert sie auf – niemand geht.
Ein grandioses Stück experimentelles Theater, nicht nur über Drogen, sondern über Träume, Wünsche, Liebe und Glücklichsein.
Seneca sagt: “Während man das Leben aufschiebt, geht es vorüber.”
Patrick
Kommentare deaktiviert für „Welche Droge passt zu mir?“ von Kai Hensel
25. Juli 2007
Dieser Eintrag wird keine Spoiler enthalten. Ich werde euch nichts über die Storyline verraten, nicht das übliche “wer überlebt und wer stirbt”-Spielchen mit euch spielen, ich werde euch nicht sagen, was es mit dem Titel oder mit den Gerüchten um den siebten (und vermutlich letzten) Teil der Harry Potter-Saga (und dieses Wort benutze ich jetzt völlig ohne Ironie) auf sich hat.
Meine Geschichte mit Harry begann vor ein paar Jahren, als der Boom schon im vollen Gange war. Ich war bei Bekannten zu Besuch und bekam die Originalausgaben der ersten drei Teile mit dem Kommentar “wie, das hast du noch nicht gelesen? Dann wird’s aber zeit” in die Hände gedrückt.
Vier Tage später lagen die drei Bände hinter mir und ich wartete gierig auf Nachschub.
Der erste Teil, diese Welt, die direkt neben, direkt in der unseren existiert, die so voller Liebe zum Detail beschrieben wurde, dass man glaubte, man müsse schon ein ziemlich beschränkter Muggle sein, um nicht zu merken, was da so alles in Wirklichkeit passiert. Magie, gleich nebenan.
Der zweite Teil, diese düsteren Geheimnisse in der ach-so-sicheren Schule, die Macken der einzelnen Charaktere, die sich langsam herauskristallisierten.
Der dritte Teil, eine falsche Spur und viele, viele außergewöhnlich gute Ideen.
Der vierte Teil dann, eine ganze Zeit später (für mich zumindest), bis dahin mein Lieblingsteil mit Rita Skeeters Geheimnis, das mich quasi aus dem obersten Fenster von Gryffindor Tower warf.
Der fünfte Teil, noch etwas später, den ich beim zweiten Lesen nicht als mehr so unerträglich ereignislos empfand wie noch beim ersten Durchlauf, vielleicht ein bisschen viel Harry in der Pubertät und ungewollte Schwächen Dumbledores…
Der sechste Teil, es ging wieder aufwärts. Endlich wieder ein Buch, das mir an den Händen klebte, bis die letzte Seite umgeblättert, die letzte Frage gestellt war – und ein Ende wie ein Schlag ins Gesicht. Wer hätte ihr, der werten Frau Rowling, so etwas zugetraut?!
Und nun Teil sieben, der Abschluss und, so kann ich jetzt endlich sagen, ein würdiger Abschluss. Die Faszination der ersten Teile hat ein bisschen nachgelassen, die Zaubererwelt ist nicht mehr so neu, so spannend, so unerwartet und überraschend, dafür ist sie realer als je zuvor. Es gehen Dinge schief, Personen sterben (und nicht zu knapp), wir treffen alte Freunde und Feinde wieder und landen an einem Schluss, der zumindest mich mit einem langsamen Kopfschütteln, einem Grinsen im Gesicht und einer winzigen Träne im Augenwinkel zurücklässt.
Ich gebe zu, ich bin nicht objektiv (aber wer will das schon wirklich sein?) und noch sehr in diesem wunderschönen und grausamen Moment der letzten Seite gefangen, es ist schließlich erst wenige Minuten her… Aber die einzige Kritik, die mir auf Anhieb einfällt, ist das letzte Kapitel, das einfach zu kurz geraten ist, ganz so, als ob eine Deadline zu erreichen, der Druck der Massen einfach zu groß geworden wäre.
Rowling sagte kürzlich in einem Interview, sie sei auch irgendwie erleichtert, die Geschichte, die nun so viele Jahre in ihrem Kopf schlummerte, endlich erzählt zu haben. Nach Teil fünf hätte ich gezweifelt, aber jetzt… jetzt würde ich dieser Frau sogar glauben, wenn sie mir sagte, der Himmel wäre grün, sie hätte einen Nimbus 2000 daheim und ich sei ein Crumple-Horned Snorcak!
Also, ihr wenigen, die bisher abstinent geblieben sind: Lauft in den nächsten Buchladen, kauft genug Tee und Knabberzeugs für die nächsten Tage, sagt alle Termine ab, verschließt Türen und Fenster und taucht ein, noch dieses eine Mal, in die Welt der Magie.
Los jetzt!
Dennis
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